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2015: St. Niklausen CH – “Grenzen überschreiten – Begegnungen”

Berichte von Doris Echterbroch, Doris Libsig und Madeleine Schuler zum Internationalen Altkatholischen Laienforum 12.-16.08.2015 in St. Niklausen, Obwalden, Schweiz

Die Grenze des Ichs überschreiten, Begegnung mit Niklaus von Flüe

Michael Bangert (Universität Basel) verstand es, den Teilnehmern des Laienforums mit sehr viel Humor und spannendem Vortragsstil den Mystiker und Nationalheiligen der Schweiz, Niklaus von Flüe, am Donnerstag, den 13.8.2015 erfahrbar zu machen.

Zunächst ging es um die Frage: Sind wir überhaupt in der Lage, ein Menschenleben des 15. Jh. vorurteilsfrei wahrzunehmen? Oder sehen wir nicht vielmehr das von ihm, was wir aufgrund unserer religiösen Sozialisation gewohnt sind zu sehen? Anhand einer Darstellung der Maria von Magdala durften die meisten von uns feststellen, dass wir „Verbildeten“ reichlich daneben lagen und aus dem Bild eine Gottesmutter-Darstellung lasen, obwohl ein dem mittelalterlichen Menschen sehr vertrauter Gegenstand, ein Salbgefäß, eindeutig auf die Magdalenerin hinwies. Den Menschen des 15. Jh. verstehen heißt also in eine vorreformatorische Welt einsteigen, in das Zeitalter der Aufklärung, der bewussten Ich-Werdung des Individuums.

Fotos finden sich in der GallerieNiklaus von Flüe lebte von 1417 bis 1487 in Flüeli, Kanton Obwalden, diente beim Militär, wurde ein reicher Bauer und bekleidete mehrere ehrenhafte, u.a. militärische, Ämter, er war gut verheiratet mit Dorothea Wyss und hatte mit ihr zehn Kinder. Als Fünfzigjähriger stieg er aus dem scheinbar bürgerlich-konformen Leben aus, denn seine Lebenserfahrungen frustrierten seine politisch-ethische Haltung. Wie viele seiner Zeitgenossen nahm er sich eine Auszeit für ein Dasein als geistlicher Pilger und machte sich zu einer Wallfahrt auf.

Von dieser kehrte er jedoch sehr bald wieder zurück und begann, mit der Zustimmung seiner Frau, ein Leben als „Eremit“ in der Melchaa-Schlucht, zehn Fußminuten von seinem Wohnhaus entfernt. So waren wir an diesem Tag, den wir großteils in Flüeli und im Ranft verbrachten, auf vielerlei Weise mit dem Thema „Grenzen“ befasst: Wir entdeckten die Grenzen unserer eigenen Urteilskraft.

Niklaus von Flüe überschritt viele Grenzen seiner Zeit, indem er sich seinem Ruf stellte, dem Leiden Christi das Herz zu öffnen und diese Spiritualität den Menschen zu vermitteln, die bei ihm Rat suchten. Er leistete damit auch einen Friedens-Beitrag in einer politischen Krise und wurde zum zentralen Ratgeber. „Der Friede ist immer in Gott, denn Gott ist der Friede.“, war der Kernpunkt seiner Botschaft. Auch wusste er um seine persönlichen Grenzen und blieb lebenslang bescheiden. Er beweist uns mit seinem Beispiel bis heute, dass Grenzen, die zu überschreiten sind, auch direkt vor unserer Haustür liegen können. Aussteiger, aus was auch immer, benötigen keine ferne Insel!

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Freitag, der 14.8.2015
Es muss am Morgen ganz früh sein, denn von weither höre  ich das feine Bimmeln eines A- Glöckchens. Ein halbgeöffnetes Augenlid lässt mich eine nebelverhangene, bergige Aussicht registrieren und darum drehe ich mich nochmals um. Nun folgt aber ein fortgesetztes und kräftiges Kikeriki des Gockels, das mir endgültig die Schlafläuse vertreibt.
Zunächst gönne ich mir ein paar Momente in der Stille der schönen Kapelle. Vergeblich bemühe ich meine Gedanken zur Ruhe; die Kapelle wirft einige Fragen auf für mich. Was bedeutet ihre Form? Hat der Architekt ein Schiff nachgebildet oder eher einen Fisch? Ich suche nach Anhaltspunkten und lasse den Blick schweifen ohne zu einem Resultat zu kommen. Nun beginnt auch die gestrige Aussage in der Vorstellungsrunde von Uwe in mir zu wirken: „Wenn Gott Friede ist, was sollen dann unsere Grenzen?“ Mitten in den Betrachtungen zu dieser interessanten Frage,  taucht ein eigener Gedanke auf, aber er passt nicht und ich schiebe ihn beiseite.

Nun folgt ein Frühstück, das keine Wünsche offen lässt und ich finde mich munter plaudernd in einer Frauenrunde wieder. Wir bereiten unsere Lunchpakete selber zu und werden freundlich ermahnt nur ja rechtzeitig um 12.30 bereit zu sein für die Fahrt mit dem Bus. Doch zunächst geht es an die Arbeit. Unter dem Motto: Die Grenze des Ich überschreiten haben sich Gruppen gebildet  um das Thema aus zu loten. Was hätte wohl der Mystiker Niklaus von Flüe zu unseren heutigen Fragen und Zuständen gesagt?

Leise besuchte ich alle Gesprächskreise um Fotos zu machen. So unterschiedlich wie die Reaktionen auf mein unerwartetes Erscheinen auch waren, eines spürte ich immer wieder: es wurde mit grossem inneren Engagement, mit Offenheit und gegenseitigem Respekt diskutiert.

Dann stiess ich auf Eveline. Sie erzählt: „Ich komme schon lange und gerne an die Laienforen auch weil ich eingeladen werde wegen dem Orgelspiel. Für mich sind der Himmel und die Sterne ein Teil meines Lebens und ich bin sooo klein darin. Die Themen die hier besprochen werden sind so anders als die Fragen die sich stellen wenn man mit Krankheit und Krebs konfrontiert wird. Ein Laienforum ist aber ein guter Ort für Inspiration und um gut miteinander weiter zu gehen. Was ich zu sagen habe tue ich mit Musik die ja verbindet, und mit der Auswahl meiner Stücke.“

Nun ist es Zeit um in den Bus zu steigen, der uns über den Brünigpass nach Brienz hinunter bringt.
Unterwegs habe ich Zeit um mich mit Max Heimgartner zu unterhalten. Er zeigt mir einen nachdenklich stimmenden Aspekt seines Schaffens auf. Doch lassen wir ihn selber zu Wort kommen: „Ursprünglich habe ich Chromstahlspengler gelernt, dann folgte das Theologiestudium. Auch im Pfarramt liess mich die Frage nach weltweiter Solidarität nicht mehr los. Doch es ist schon kontrovers: als ich Partnerkirchen in Übersee besuchte, sahen die Leute in mir oft den Vertreter der Spender,innen. Ich bekam dadurch weniger Einblick in ihre Konflikte usw. Kurze Besuche bringen daher wenig; doch Langzeitmissionare vertreten eher die Sicht ihrer Arbeitgeber! Mit den Asylsuchenden hingegen erhalte ich Einblick in das Leben von direkt Betroffenen.

Das Laienforum hier beeindruckt mich tief, ich habe so etwas noch nicht erlebt. Ganz klar ist, dass die Diakonie von Herzen kommen muss, oder man kann sie bleiben lassen.
Da ist er wieder, der Gedanke aus der Stille der Kapelle. Wie ein Blitz leuchtet er nur kurz auf, um  wieder zu verschwinden.
Inzwischen sind wir in Brienz angekommen. Hier stossen noch zwei Tagesgäste aus Eritrea zu uns. Das Wetter ist jetzt etwas freundlicher und wir steigen hoffnungsvoll in die Brienzer Rothornbahn; vielleicht schein oben ja die Sonne. Das ist eine alte Zahnradbahn mit Dampflokomotive die pro Fahrt 2000 l Wasser und ca. 300kg Kohle braucht. Sie bringt uns mit  Stampfen und Fauchen, mit Gestank und doch so voller Poesie  bequem zum Gipfel hinauf (2200 m).
Unterwegs habe ich Zeit um mich mit Susanne zu unterhalten. Sie ist vom Islam konvertiert und hat sich von der islamischen Tradition abgewendet. Grundsätzlich ist sie überzeugt, dass Gott und Allah dasselbe ist. Mohamed ist ein wichtiger Schriftgelehrter für sie, und wird das auch bleiben. Sie freut sich am Neuen des altkatholischen Glaubens, an der neuen Gemeinschaft und ist erleichtert von den sinnentleerten Zwängen weg gekommen zu sein. Etwas Trauer und Bedauern ist schon aufgekommen seit sie Leute kennen gelernt hat, die für einen „liberalen Islam“ stehen.

In grosser Achtung vor so viel Mut zu den ehrlichen Gefühlen, wünsche ich Dir Susanne von Herzen: gute Begegnungen auf dem weiteren Glaubensweg und reichen Segen von Oben.
Während der guten Stunde die es stets bergauf geht, begleitet uns Nebel und Nieselregen. Die Temperatur kühlt merklich ab und die Flora ändert sich: nach dem dunklen Tannenwald folgen Alpweiden mit Kühen und irgendwann zeigen  niedrige Nadelbüsche die nahe Waldgrenze an. Doch nun breitet sich eine bezaubernde Alpenflora aus. Der gelbe Stengelenzian, der tiefblaue kleine Enzian, die roten Alpenrosen und so manches mehr, das sich in die kleinen Ritzen des greifbar nahen Felsens eingenistete hat. Alles hebt sich farbig kräftig vom Grau der Umgebung ab, und erfüllt alle Mitreisenden mit Freude. Weithin sichtbar sind auch die markanten Teppiche von rotem indischen Springkraut, das eigentlich ein Unkraut aus China ist.

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Ich freue mich wie ein Kind. Schon sehr lange hätte ich diese Fahrt mit dem dampfenden Ungetüm gerne gemacht. Ausgerechnet nun, als es eigentlich unmöglich geworden ist so hoch hinaus zu kommen, wegen den ewig müden Beinen und dem sehr kurzen Atem, nun ist es doch noch wahr geworden! Nun sitze ich da, mit erfüllten Sinnen und staune. Es gibt schon mal Nebellöcher um die Aussicht etwas bestaunen zu können, doch sie zeigen auch das Gefälle des Geländes und ich bin froh, wenn das überstanden ist.
Auf dem Gipfel angekommen, erwartet uns ein Restaurant, wo wir uns aufwärmen dürfen. Wir haben auch tüchtig Zeit um auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Einige Mitreisende sehen Steinböcke und ein „fast echtes“ Edelweiss. Der Blitz kracht mächtig ganz in der Nähe und vernünftigerweise wartet die Gondelbahn eine Stunde bis  zur nächsten Talfahrt nach Sörenberg. Die dauert nur 8 Min. Der Bus wartet um uns zur nahegelegenen Mörlialp zu bringen. Hier  erzählt uns Bischof Harald Rein die Geschichte dieses Jugendhauses, das der christkatholischen Kirche gehört. Ganz deutlich wurde die Frage nach dem „wie weiter“, denn die Bettenbelegung ist viel zu gering.
So, und jetzt muss er raus, der Gedanke von heute früh in der stillen Kapelle: Ist es möglich, dass alle Klöster die Pforten öffnen für die Vertriebenen, einfach weil es die Umstände erfordern? Gibt es eine Möglichkeit dass eine Flüchtlingsunterkunft aus dem Jugendhaus gemacht wird?

Der Bus fährt weiter über Sarnen nach Kerns und hinauf nach St. Niklausen. Doch noch sind wir nicht in Bethanien. Nein, wir werden bei einer freundlichen Bauernfamilie zum herrlichen Fondue erwartet. Getafelt wird mitten im sauber herausgeputzten Stall und beim Eintreten steigt einem der Geruch von frischem Heu und anderen Stallgerüchen in die Nase. Im Winter werden hier wieder die Kühe wohnen doch letztendlich hat das niemanden gestört. Die gemütliche Stimmung in froher Runde hat allen gut gefallen. Die beiden Eriträer singen zum Dank Lieder.
Draussen wird es Abend. Was könnte besser in diese friedvolle Umgebung passen, als der Klang eines Alphornes? Die perfekten Planer dieses Tages haben auch das nicht vergessen. Die einfache Melodie eines einzelnen Bläsers entfacht einen nie gekannten Sturm von Heimatgefühlen in mir. Bin tief berührt. Vor uns liegt der Sarnersee in der Abenddämmerung und nach und nach erglimmen die Lichter in den Häusern unter uns – so, wie es schon immer war.
Ein paar Schritte gehe ich noch in die Stille der Dämmerung hinein, muss alles Schöne sich setzen lassen. Im Mondschein taucht das markant hochgestellte Dach der Kapelle von Bethanien auf, es soll an ein Zelt erinnern. Keine Frage: heute Abend fällt es mir leicht  „Danke“ zu sagen.

Doris Libsig, Tagesgast, www.doris-reiseblog.ch